This week, I reviewed the show in German and English. Click here to access the English review of Frenzy’s show.
Und jetzt alle mitsingen!
Ich habe den Tag der Deutschen Einheit knapp um einen Tag verpasst mit meinem Ausstellungsbesuch bei Frenzy (Millennial, Deutsch). Und jetzt poste ich diese Review zufällig einen Tag nach dem Jahrestag des Mauerfalls. Das war so nicht geplant, aber besseres Timing für die Besprechung hätte es nicht geben können.
Aus mit Deutschlandfahnen umwickelten Besenstielhalterungen (herrlich, diese arschlangen Wörter im Deutschen, das kann ich in meinen englischen Texten nie machen) an der Wand tönt die Melodie unserer Nationalhymne. Naja, nicht so sehr die Melodie als vielmehr eine verstimmte Version davon, die der Meme-Variante der Kevin Allein zu Haus Titelmelodie nahe kommt. In einem Kanon auf Schulorchesterniveau überschlagen sich die Töne zu einem niemals endenden Geräuscheschwarm. Die Einigkeit in Einigkeit und Recht und Freiheit ist ein heikles Thema, wir sollten besser einen Stuhlkreis bilden.
Frenzy fügt für jedes Jahr since 1989 einen weiteren Stiel hinzu, in der Ausstellung hat sie sich aber auf eine kleine Zahl begrenzt. Einigkeit ist nur einmal im Jahr. Wenn überhaupt. Jedenfalls herrscht in Deutschland Einigkeit über die Uneinigkeit von Ost und West. Die Stiele sind übrigens angewinkelt zur Wand angebracht. Hat was unangenehmes von ‘nem ausgestreckten Arm…
Diagonal gegenüber — ein Denkmal (2012): Rahmen und Sockel sind aus Eiche, dat hat natürlich janz schwierige Konnotationen, wenn man so zurück in die Geschichte blickt… Verewigt ist ein comically vergrößertes Foto eines gelben Post-Its. Da hat uns Frenzy einen Denkzettel verpasst, man kennt’s. In deutschen Diskursen kursiert immer wieder der bedeutungsschwangere Begriff ✨Erinnerungskultur✨. Das können wir super hier in Deutschland. Meint man. Aber…woran genau sollen wir uns erinnern?
Ich muss gerade an die Episode Früher war alles 2D von Marc Uwe Klings Die Känguru-Chroniken denken, als der junge Kinomitarbeiter das Känguru fragt, was denn 1989 passiert war. Aber mal ernsthaft jetzt: Welche Erinnerung soll unsere oft beschworene Erinnerungskultur denn aufrechterhalten? Dass David Hasselhoffs Konzert singlehandedly eine Nation wiedervereint hat? Dass über Nacht Lebensrealitäten einfach so zusammengebrochen sind? Dass der Osten endlich wieder (heftig) “normal” wurde? Ob ein Klebezettel gegen historische Demenz reicht?
Hier sollte eine Überschrift stehen
Leer bleibt es auch auf den Gemälden weiter hinten im Raum. Ein Panorama aus weißen, blau umrandeten Leinwänden macht sich über zwei Wände hinweg breit. Bilder machen Leute (2020) heißt dieser um die Ecke gedachte Spaß. Vielleicht ist das etwas zu weit gedacht, ich fühle mich aber von weitem ein kleinwenig an Piet Mondrian (1872-1944, Niederländisch) erinnert. Auf jede Leinwand hat Frenzy eine Caption dazugepinselt, was dieses Bild enthalten könnte: Menschen, Baum, Person, Schuh, lachende Menschen, sitzende Menschen, vieles wiederholt sich. Wirklich abgebildet ist davon aber nichts.
Ich denke an einen meiner Lieblingsaccounts auf Instagram, @perlendeslokaljournalismus, welcher die absurdesten Formulierungen und Patzer deutscher Berichterstattung zusammenträgt. Veröffentlichte Artikel mit provisorischer Bildunterschrift kommen häufig vor. Hat auch was von sonst mit Shutterstock-Bildern vollgepumpter Werbung, die hier aufs Skelett ausgezogen wird. Tatsächlich lese ich im Pressekit, dass Frenzy “im Internet [generierte] Bildbeschreibungen für nicht ladbare Bilddateien” nutzt. Vielleicht habe ich wegen der Formate eher an Zeitungen als an Social Media und so gedacht. Wir kommen zu einem Classic der Kunstkritik zurück: Was macht die Übertragung in Malerei aus?
Aahhh heikel, heikel. Irgendwie hätte es eine Aneinanderreihung blanker Fotos mit den gleichen Captions auch getan, so rein für’s Konzept. Ich finde man macht es sich leicht mit Malerei. Es sieht dann so aus, als bräuchte man noch “was klassisch Künstlerisches”, um ein Konzept zu legitimieren und zack, wird die Leinwand ausgepackt. Anyway. Wo wir aber eben noch bei Worten waren…
Wie sagt man so schön?
Ich biege um die Ecke und stehe vor einem gedeckten Tisch. Es ist angerichtet (2009). Das Essen oder das Chaos lol? Frenzy nutzt altes feines Porzellan, weiß und filigran mit Gold und Blumen verziert. Den Kerzen und der Vielzahl an Geschirr nach zu urteilen, muss es wohl ein wichtiger Anlass sein. Jubiläumsgläser und Hochzeitskelche sind darunter. Ach, wie schade, leider keine Traubenschere dabei. So dekadent wird es doch nicht. Auf jedem Teil des Services stehen in güldener Schrift alle möglichen Klug- und Weisheiten. Für jedes Wehwehchen gibt es das passende Pflaster. Ich war so fixiert darauf, die ganzen Sprüche zu lesen, dass ich gar nicht die schwarze Tischdecke bemerkt habe. Schon düster, oder? Gibt so bissel ‘nen Beerdigungsvibe, wenn ihr mich fragt. Ich weiß, ich weiß, der Mensch lebt nicht von Brot allein und so weiter, aber konsumieren wir heute nur das harmonische Miteinander?
Da war noch ‘ne Arbeit, NEUES LEBEN VII (2019). Frenzy stellt sechs Bücher auf ein Regal (Eiche, mal wieder). Auf den Buchrücken steht “WELTALL ERDE MENSCH”. Ich hab mich erstmal bissle davor gedrückt, die Arbeit zu besprechen, aber dann ist es spannend geworden: Ich google also diesen Titel auf dem Buchrücken. Dieses Buch gab es wirklich und wurde zwischen 1954 und 1974 in der DDR zur Jugendweihe verschenkt. Die Jugendweihe ist an diesem Punkt aber eine Rabbithole, in die wir uns nicht begeben werden. Laut der extrem vertrauenswürdigen Quelle Wikipedia “gilt es als eines der am weitesten verbreiteten Druckwerke der DDR” und erklärte den Kiddos von damals das marxistisch-leninistische Weltbild. Frenzy lässt aus jedem Buch einen farbigen Strang an Lesebändern herauswachsen, die als Kombi einen Regenbogen ergeben. Den Boden erreichend werden aber die einzelnen Stränge wieder zu einem Farbwirrwar. Irgendwie führt dieser Regenbogen nirgendwo hin…
Besserer wird’s nicht
Im zweiten Raum höre ich Weisheiten, wie ich sie vorher zu Tisch gelesen habe. Der Lautsprecher liefert einen Spruch nach dem anderen wie Mantras auf dem Fließband. Hier stehen Regale mit schrill-bunten Figürchen angelehnt an Meissener Porzellan. Dieses Set-up ist sowas von Bares-für-Rares-coded. Was erst nach gewöhnlichstem Billoplastik aussieht, ist tatsächlich bemaltes Porzellan, Bessermenschen (2024). Wo Meissen draufsteht muss auch Meissen drin sein, wa? Diese typisch aristokratischen Figürle tragen klitzekleine Einkaufstaschen aus Papier mit echten Werbeslogans drauf. Wirbt Temu nicht mit Shoppen wie die Milliardäre? Aber hat der Porzellanadel es wirklich nötig, beim Discounter einzukaufen?
Im Hintergrund, 150 x 120 cm große gerahmte Textflächen. NEUERER (2017) steht in unendlicher Aneinanderreihung drauf. Bis zur Absurdität steigert Frenzy den Komparativ. Unser schönes Wachstumsversprechen: Es wird immer was neuerers geben.
Kuratorisch werden die Motive hier durchgezogen. (Un-)Weisheiten kommen in beiden Räumen vor, unendliche Wiederholungen haben wir mit der Loop-Hymne dort und den Bildern hier abgedeckt. Ironischen Kitsch auf Porzellan hamma auch beide Male. Was wir aber leider auch beide Male haben ist die zweifelhafte Umsetzung. Genauso wie bei der Übertragung in die Malerei fühle ich diese NEUERER Arbeiten nicht so. Frenzy verbindet Konkrete Poesie, wie sie schon mindestens seit den 30ern existiert hat, mit Konsumkritik. Funktioniert hat das bestimmt genauso gut schon in den 60ern und 70ern. Ich will die Arbeit zur Seite schieben und abhaken. Aber ist das vielleicht nicht gerade der Punkt? Es kann kein NEUERER geben. Ich hatte es ja schonmal gesagt, jede Neuerung ist das gut vergessene Alte. Wie drückt man das besser aus, wenn nicht durch Abklatsch?
Frenzy Höhne: NOCH BESSER LEBEN, bis zum 05. Januar 2025 bei der gkg.
gkg - Gesellschaft für Kunst und Gestaltung Bonn
Hochstadenring 22
53119 Bonn
Webseite
Instagram: @gkg_bonn @frenzyhoehne
Das war schon bissle wild mal ne Rezension auf Deutsch zu schreiben. Ich bliebe langfristig beim Englischen, aber vielleicht kommt mal hin und wieder etwas auf Deutsch. Was meint ihr? Sagt mir gerne was ihr von diesem Experiment haltet. Bin gespannt!
Bis Baldrian, I guess!!!
Jennifer
The Gen Z Art Critic